Die Fußballweltmeisterschaft und die Feier auf der Fanmeile sind längst verpflogen. Katerstimmung macht sich breit. Nach den Sommerferien müssen wir uns wieder voll und ganz auf unser Kerngeschäft konzentrieren. Nur wenige Monate liegen noch vor uns, in denen schnell die Weichen für ein holpriges 2015 gestellt werden müssen. Statt mit gewagten Spekulationen über die nahe Zukunft zu starten, ist es ratsam, zunächst die noch sichtbare Hintergrundstrahlung der Issues des ersten Halbjahres 2014 zur Grundlage weiterer Voraussagen zu wählen.
Ökonomie & Arbeit
Die allgemeine Stärke der Deutschen Wirtschaft wird durch eine Reihe von Ereignissen relativiert, die als schwache Signale für zukünftige Systemausfälle interpretiert werden können. Die Verurteilung von Uli Hoeneß wegen Steuerhinterziehung demonstriert die Allgegenwart des Wirtschaftsstrafrechts nicht allein im Profisport. Um so unverständlicher ist es, dass insbesondere im Mittelstand Compliance Management und Litigation-PR von rund 2/3 aller Unternehmen konsequent ignoriert werden. Insbesondere im internationalen Geschäft und bei öffentlichen Aufträgen entstehen so nachhaltige Wettbewerbsschwächen.
Die Verspottung des Berliner Großflughafens BER und ihrer Manager lenkt von der Tatsache ab, dass Deutschland insgesamt Gefahr läuft zu verlernen, wie man erfolgreich Großprojekte plant und umsetzt. Statt Herrn Mehdorn mit jeder nur denkbaren technischen Raffinesse im Rahmen einer Musterbaustelle zu unterstützen und damit aus der Krise eine Chance zu machen – was die offene Auseinandersetzung mit Fehlern beinhaltet – wird in Berlin immer noch der Suche eines Sündenbocks der Vorrang gegeben. Der wertmäßige Imageschaden für Deutsche Ingenieure – gemessen in der Nichtberücksichtigung bei internationalen Ausschreibungen – wird die Gesamtkosten des Flughafenbaus um ein Vielfaches übersteigen.
Der französische Wirtschaftswissenschaftler Piketty hat mit seinem Buch „Capital in the Twenty-First Century“ eine weltweit beachtete Gerechtigkeitsdebatte ausgelöst. Ein von Spielregeln befreiter Kapitalismus würde den Unterschied zwischen Arm und Reich immer weiter vergrößern. Damit würden langfristig Volkswirtschaften wie auch demokratische Staaten krisenanfälliger. Als Reaktion auf diese These wird die Forderung nach progressiven Steuern zunehmen, während Vermögende mit einer neuen Stiftungswelle das Gesicht des Kapitalismus selbst zu korrigieren versuchen.
Politik & Recht
Politischer Dauerbrenner ist und bleibt der Spionageskandal der NSA. Andeutungen von Edward Snowden lassen vermuten, dass in den kommenden Monaten das Thema Wirtschaftsspionage verstärkt in den Vordergrund rücken wird. Die Verstimmungen zwischen Deutschland und den USA werden Washington kaum zu einer Aufgabe ihres temporären Wissensmonopols bewegen. Die aktuelle Affäre liefert lediglich Gründe für zusätzliche nationale Sicherheitsprogramme zum Schutz der eigenen Unternehmen und Bürger auf beiden Seiten des Atlantiks.
Politiker-Skandale sind Symbole für die Dauerkrise, in der sich die Repräsentanten des Staates und die öffentliche Verwaltung seit vielen Jahren befinden. Für die Politikverdrossenheit der Wähler gibt es auch so schon genug Motive: fehlende Identifikation mit den Repräsentanten, mangelhafte Transparenz politischer Prozesse, Weigerung der Politik die Wähler an Entscheidungen direkt partizipieren zu lassen oder zumindest den Sachverstand einer Nation aktiv einzubinden und dafür zu belohnen. Nicht eingehaltene Wahlversprechen der etablierten Parteien haben die rechtspopulistischer Parteien bei der Europawahl stark werden lassen. In der Zukunft ist zu vermuten, dass sich die etablierten Parteien nicht weiter verzetteln werden. Stattdessen wird der Erfolg einer Regierung an der zeitnahen Umsetzung einiger weniger großer Themen gemessen. Ein minimalistisches Regierungsprogramm bedeutet aber auch mehr „Selbstverantwortung“ der Bürger Gleichzeitig werden zum Ende des Jahres Bewegungen wie Occupy und Attac wieder mehr Aufmerksamkeit gewinnen.
Aufstände in Brasilien…Politische und wirtschaftliche Isolation Russlands nach der Annektierung der Krim…. Indien im Würgegriff von Inflation, Korruption, Bürokratie und Reformstau…. Umweltverschmutzung und drohende Immobilienkrise in China…Arbeitslosigkeit und AIDS in Südafrika und jetzt auch noch Ebola in mehreren afrikanischen Staaten. Die BRICS-Staaten stehen mit ihren Problemen weitestgehend alleine. Vielleicht ist dies einer der Gründe, weshalb sie aus eigener Kraft eine Entwicklungsbank gegründet haben. Die sträfliche Distanz, mit der die hiesige Politik und Öffentlichkeit die internationalen Herausforderungen betrachtet, wird ab 2015 eine der Ursachen für länderübergreifende Wirtschaftskrisen sein.
Noch größeres Desinteresse bringt die westliche Politik nur dem Mittleren Osten & Afrika gegenüber. Europa schottet sich immer weiter ab vor nordafrikanischen Bootsflüchtlingen, die weit auf offener See entdeckt und zurückgebracht werden. Das überraschende Auftreten neue Terrorgruppen wie Boko Haram und ISIS spiegelt ebenso das fehlende Wissen und sinkende Interesse des Westens für diesen Teil der Welt wider. Statt eines Masterplans dominieren geostrategische Spiele in Irak und Syrien. Offen bleibt die Frage, ob der Waffenstillstand zwischen Israel und Palästina dauerhaft sein kann, um Friedensverhandlungen zwischen beiden Konfliktparteien zu ermöglichen.
Medien & Gesellschaft
Vor hundert Jahren brach der I. Weltkrieg aus. Vor 70 Jahren landeten die Alliierten in der Normandie. Die Folgen zweier Weltkriege sind bis heute zu spüren. Durch den scheinbar „sauberen“ Einsatz von Drohnen, Cyber Warfare oder auch Mitteln der Wirtschaftskriegsführung verlieren Kriege jedoch zunehmend ihre abschreckende Wirkung. Alles verläuft diskret und präzise. Den Medien kommt eine Schlüsselrolle zu, nicht allein durch abstumpfende Gewaltbilder sondern auch kluge Hintergrundreportagen und alternative Suche nach Best Practices für ein friedliches Miteinander zu sorgen und die Militarisierung unserer inneren Bilderwelten nicht zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen.
Während Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CSU) eine aktive Sterbehilfe ausschließt, ist diese inzwischen in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg legalisiert. In Frankreich wurde ein Arzt vom Vorwurf des Giftmordes freigesprochen, nachdem er sieben Patienten eine tödliche Injektion gegeben hatte. Eine Bestätigung des Urteils vor dem Europäischen Gerichtshof würde auch in Deutschland eine Neubelebung des Themas mit sich bringen.
Gerichte werden immer mehr zu medialen Hot Spots. Auch wenn in Deutschland Kameras während einer Sitzung noch nicht zugelassen sind, so sehen sich Staatsanwälte und Richter einer Welle von Presseanfragen ausgesetzt. Der öffentliche Wunsch nach „erlebbarer Gerechtigkeit“ ist auf Grund der Komplexität juristischer Zusammenhänge kaum befriedigt. Talkshows sind für diese Zielgruppe sicher keine geeignete Bühne. Professionelle Litigation-PR wird Gerichtssäle zukünftig einen festen Sendeplatz geben, wie sie heute die Börsen haben.
Politischer Boykott und desaströse Berichterstattungen über die olympischen Winterspiele in Sotschi wie auch die Korruptionsvorwürfe gegen die FIFA als Veranstalter der geplanten Fußballweltmeisterschaft in Qatar zeigen den dringenden Reformbedarf des Profisports an. Wenn Sport mehr sein soll als eine riesige Reklamefläche und Einladung zu Wettmanipulationen, müssen Vereine und Verbände sich proaktiv für die Einführung und Umsetzung eines Ehrenkodex einsetzen und statt Spitzensport vor allem die Basis am Erfolg teilhaben lassen. Andernfalls drohen Sportarten eine gesellschaftliche Ächtung wie zuletzt dem Radfahren nach der Tour de France der letzten Jahre.
Wissenschaft & Technologie
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt, dass die Wirksamkeit von Antibiotika im Kampf gegen resistente Bakterien endlich sein könnte. Simple Infektionen könnten ohne Gegenwehr zukünftig tödlich enden. Es ist davon auszugehen, dass Antibiotika aus der Lebensmittelindustrie verschwinden. Gleichzeitig wird sich die Gentechnologie als Retter ins Gespräch bringen. Begleitet wird dieser Trend von den Risiken einer aus Afrika stammenden Ebola-Epedemie.
Wissenschaftsjahre sollen die Öffentlichkeit für zentrale Forschungsfragen sensibilisieren. Das Jahr 2014 ist der „digitalen Gesellschaft“ gewidmet. Leider hat das vom NSA-Skandal ausgehende Negativimage für digitale Trends die Technologiephobie der Deutschen nur weiter erhöht. Es wird sich zeigen, ob die für Herbst geplante digitale Agenda der Bundesregierung nicht nur anspruchsvolle Technologiefelder definiert sondern auch das dazu notwendige Seed-Capital zur Verfügung stellt.
Ökologie & Energie
Die Energiewende hat der Kohleenergie ermöglicht, das durch den Wegfall des Atomstroms entstandene Vakuum zu besetzen, da regenerative Energiequellen keine Grundlast abbilden können. Dadurch droht Deutschland seine Klimaschutzziele zu verfehlen.
Während in den USA und nun auch in Großbritannien die Schiefergasproduktion boomt, bleibt Kontinentaleuropa skeptisch gegenüber der als Fracking bezeichneten Explorationsmethode. Die Bundesregierung hat die Hürden für Fracking sehr hoch gehangen. Es ist daher zweifelhaft, ob die Vorteile einer auf diese Weise teuer erkauften energiepolitischen Autonomie beim Bürger und bei energieintensiven Produktionsunternehmen ankommen können.
Wie sicher sind Kavernen? Nach einer Leckage eines unterirdischen Ölspeichers bei Gronau und Problemen in zwei weiteren Gaskavernen wird diese Form der unterirdischen Speichertechnologie generell auf den Prüfstand gestellt. Damit verbunden könnten Mehrkosten für die Mineralölwirtschaft in Milliardenhöhe sein.
Die Förderung neuer Anlagen für regenerative Energie wird nach der EEG-Reform stufenweise gesenkt. Die Energiewende kommt, aber sie benötigt deutlich mehr Zeit. Unklar bleibt, wie eine Brücke zwischen alter und neuer Energiewelt aussehen soll. Die Energieriesen E.ON, RWE, EnBw befinden sich ohne einen Kapazitätsmarkt, d.h. einer Finanzierung für die Bereitstellung konventioneller Kraftwerke, im freien Fall. Vielleicht wird sich diese Haltung erst nach einem möglichen Blackout im nächsten strengen Winter ändern. In der Zwischenzeit gewinnen ausländische Unternehmen Wettbewerbsvorteile durch niedrigere Energiekosten zurück.